Die Lincoln-Maschine, Marsianischer Zeitsturz, Ubik, Simulacra, Die drei Stigmata des Palmer Eldritch, Die Valis-Trilogie…alles was von Philip K. Dick über die Jahre in deutscher Übersetzung im HEYNE-Verlag erschienen ist, steht in meinem Buchregal.
2002 bis 2007. Kaufen, lesen, warten auf das nächste Buch.
Philip K. Dick vermag Welten zu schaffen. Glaubhafte Welten, alleinig als Hintergrund für die unerhörte Begebenheit seiner jeweiligen Geschichte. Kolonisation des Monds, paranormale Fähigkeiten, Cryo-Schlaf nach dem Tod. Alles in einem Roman. Ohne überladen zu wirken. Kein krudes, unzusammenhängendes Sammelsurium an Motiven, vielmehr ein stimmiges Ineinandergreifen. Das ist was Dick so großartig macht.
Hollywood tut immer gut daran, sich nur des zentralen Motivs seiner zahlreichen Romane und Kurzgeschichten zu bedienen. Blade Runner, Total Recall, Minority Report. Der Versuch eines „Philip K. Dick“-Films wie A Scanner Darkly, wenn auch visuell interessant, ist in meinen Augen zum Scheitern verurteilt.
2015/16 hat sich ARTE Creative an eine Huldigung des amerikanischen Schriftstellers gewagt, und als Teil des Multimedia-Projekts ist das Spiel Californium entstanden.
Episodischer Content, bestehend aus vier Abschnitten, ab Mitte Februar 2015 alle zwei Wochen ein neues Kapitel. Rund fünf Stunden Spielzeit insgesamt.
Californium ist ein exploration game, in dem der Spieler in einem ihm unbekannten Raum aufwacht und sein Umfeld erkunden muss. Nach und nach findet er heraus, dass er sich im Jahre 1967 in Berkeley, Kalifornien, im Körper von Elvin Green befindet, einem Science Fiction Autor, dessen berufliches und privates Leben gerade im Scheitern begriffen ist. Und dessen Wahrnehmung der Realität langsam immer diffuser wird …
Californium spielt mit dem Zerfall der Realität. Dem Blick hinter eine vermeintliche Wirklichkeit. Die Welt des Protagonisten Elvin Green befindet sich in einem steten Auflösungsprozess, getrieben durch ihn selbst.
Gefangen in Elvins Wohnung und einem kurzen Straßenabschnitt vor dem Apartmentkomplex trägt man als Spieler in der Ego-Perspektive Schicht für Schicht der jeweiligen Welt ab. Bis hin zum vollständigen Zerfall in Surrealität.
Ist man Elvin Green, ein drogensüchtiger Schriftsteller, lebend in Berkeley im Jahr des Summer of Love? Oder aber Elvin Green, der erfolgreiche und gefeierte Verfasser einer Lincoln Biographie, Bewohner einer totalitären Dystopie? Oder befindet man sich gar nicht auf der Erde, sondern vielmehr auf dem Mars?
Die finale Episode bringt den totalen Zusammenbruch. Der Wunsch nach Erlösung, die keine ist. Alles auf Anfang. Eingesperrt in einen endlosen Kreislauf, aus dem es kein Entkommen gibt.
Californiums Spielprinzip ist simpel. Über jedes Level sind Fernsehgeräte versteckt, die es zu finden gilt. Oft auf den ersten Blick erkennbar, mitten im Zimmer stehend. Aber mitunter auch gut versteckt in Hinterzimmern, oder aber durch einen Baum verdeckt. Ist die Flimmerkiste erst aktiviert, so zeigt sie an, von wie vielen Realitätsbrüchen man umgeben ist.
Das eigentliche Suchspiel beginnt. Gegenstände flackern. Anstelle eines Buches steht plötzlich eine Vase im Regal. Hat das nicht gerade anders ausgesehen? Moment, was war das? Kann ich meinen Augen trauen?
Aus einem bestimmten Winkel ist es nun möglich, durch einen Klick auf ein leuchtendes Theta-Symbol, hinter die einem präsentierte Kulisse zu blicken. Zunehmend verändert sich die einen umgebende Welt dadurch.
Visuell ist Californium großartig. Und auch die Suche nach den Verzerrungen der Realität ist zunächst spannend. Was erwartet mich?
Leider gestaltet sich das Suchen schnell als repetitive Tätigkeit und verliert zunehmend den Reiz des Neuen. Fernseher finden, Theta-Symbole aufdecken, nächsten Abschnitt der Episode betreten. Auf ein Neues. Spätestens bei Episode 3 angelangt ist dies mehr als langweilig.
Aber Durchhalten wird belohnt. Episode 4, totaler Zerfall.
Die eindimensionalen Bewohner Elvins Welten, sind nun endgültig zu Pappaufstellern mutiert, jeder trägt ein I Ging Symbol auf dem Rücken.
Der finale Aufstieg beginnt. Was verbleibt nach Abtragen der letzten Schicht? Was ist die Wahrheit? Was Wirklichkeit? Existiert ein Ausweg? Oder nur eine weitere Ebene?
Fazit
Ist Californium nun DAS Philip K. Dick Spiel? Dies zu beurteilen bleibt jedem selbst überlassen. Das Schöne an Literatur ist ja gerade, dass ein jeder Leser die Geschichten vor seinem eigenen Hintergrund, seinem Erlebnishorizont wahrnimmt und interpretiert.
Für mich hat Californium wesentliche Aspekte der Welten des Philip K. Dick gut getroffen. Visuell ist Californium mehr als gelungen.
Eine befriedigende Auflösung der Geschichte war nicht zu erwarten. Auch das ist Philip K. Dick. Die Ausweglosigkeit.
Leider fallen die einzelnen Episoden inhaltlich recht flach aus. Und wie bereits geschrieben, der Reiz des Neuen ist schnell überholt, das endlose Suchen schlicht langweilig.
Gerade Kapitel 3, der längste Spielabschnitt, wird nicht besser durch das Hinzufügen weiterer Symbole. Es bleibt beim stumpfen Absuchen. Den richtigen Winkel zu finden ist oft recht mühsam. Ein Zeichen flackert auf. Man richtet den Mauszeiger aus, will klicken, das Theta hat sich in Luft aufgelöst. Also wieder ein paar Schritte zurück. Und ein wenig vorwärts. Das Symbol mag nicht wiederkommen. Californium ist mitunter eine rechte Geduldsprobe, was dem Spielfluss nicht zuträglich ist.
Dennoch ist das Spiel, auch in Anbetracht der kurzen Spielzeit, eine Empfehlung.
Wem Californium gefällt, dem sei das Buch Der futurologische Kongreß von Stanisław Lem empfohlen. Und als Spiele sowohl The Stanley Parable als auch The Beginner’s Guide.