Da ist sie wieder, die Angst vor dem leeren digitalen Blatt. Die Furcht, einem so großartigen Spiel wie Broken Age mit ein wenig dilettantischem Getippe nicht gerecht zu werden. Wo anfangen, wo aufhören?
Wir schreiben das Jahr 2012: „Adventure Games are dead!“ Und dennoch macht sich Tim Schafer, der kreative Kopf hinter Klassikern wie Monkey Island, Day of the Tentacle, Full Throttle oder Grim Fandango, daran ein neues Point & Click Adventure zu schaffen.
Die von Double Fine gestartete Kickstarter Kampagne schlägt ein wie eine Bombe. Der ausgerufene Betrag von 400.000 US Dollar wird innerhalb von nur acht (!) Stunden erreicht. Insgesamt über 87 Tausend Unterstützer und 3,3 Millionen eingesammelte grüne Scheinchen machen das Double Fine Adventure zu dem bis dato größten Kickstarter Erfolg. Die Entwicklung kann beginnen.
Das Setting
Broken Age erzählt die Geschichte zweier Teenager, Shay und Veloria. Eine Story über die Bevormundung durch Erwachsene und den Versuch das Leben in die eigene Hand zu nehmen.
Shays Abenteuer startet auf einem Raumschiff. Eingebunden in eine tagtäglich gleich verlaufende Routine. Aufstehen, Frühstück, harmlose Missionen erleben. Achterbahn fahren, Eiscreme-Lawinen weglöffeln, Knuddelattacken überstehen. Und wieder ab ins Bett. Ein Tag gleicht dem anderen. Langeweile pur. Behütet von einem überfürsorglichen Bordcomputer. Shay sehnt sich nach echten Herausforderungen.

Veloria hingegen befindet sich zu Beginn des Spiels gleich in Lebensgefahr. Ihr Dorf wird von einem Monster namens Mog Chothra heimgesucht. Um die Zerstörung abzuwenden, werden alle paar Jahre die schönsten Mädchen der Dorfgemeinschaft der Bestie als Opfer dargebracht. Und dieses Jahr gehört Veloria zu den „Auserwählten“.

Erster Versuch
Ich habe einen kurzen Blick in meine Googlemail Inbox geworfen. Am 22. Februar 2014 ist Broken Age in meiner Steam Bibliothek gelandet. Und wenn ich mich recht erinnere, so habe ich auch noch am selben Tag zu spielen begonnen. Und…ich war enttäuscht.
Zunächst hatte ich mich an Shays Geschichte versucht. Und ich bin kläglich gescheitert. Immer wieder die gleichen Tätigkeiten. Ohne Ausweg. Wirklich langweilig. Das dies vom Entwickler so gewollt ist, habe ich erst sehr viel später erfahren. Aber dazu später mehr.
Also Wechsel zu Velorias Geschichte. Dialoge führen und noch mehr Dialoge. Wo ist das klassische Point & Click Erlebnis, das ich erwartet hatte? Den Ausweg aus der Opferzeremonie habe ich noch gefunden, aber dann wurde Broken Age recht schnell auf Halde geschoben. World of Warcraft ruft.
Zweiter Versuch
2017. Ich schreibe einen Blog und der über die Jahre angehäufte Spieleberg muss weg. Also auf ein Neues. Wieder starte ich mit Shay. Und erneut durchlebe ich die dröge Alltagsroutine an Bord seines Raumschiffs. Aber ich beiße mich durch. Und es macht Klick, ich finde den Ausweg aus Shays Trott. Broken Age kommt ins Rollen und rund 19 Stunden Spielzeit später folgt der Abspann. Was für ein fantastischer Titel. Wie konnte ich den nur so lange liegen lassen? Ich Vollidiot!
Broken Age ist sehr wohl ein klassisches Point & Click Adventure, auch wenn es diese Tatsache zunächst perfekt zu verstecken mag. Das klassische Gameplay dieses Genres kommt erst auf den Tisch, wenn man die einleitenden Geschichten der beiden Teenager erfolgreich abgeschlossen hat. Die endlose Routine von Shays Tagesablauf, die mich bei meinem ersten Anlauf hat scheitern lassen, ist ein grandioses Stück Game-Design. Nicht nur die Frustration des Jungen beobachten, nein Mitfühlen ist Programm. Je länger ich darüber ich nachdenke, desto besser finde ich es. Auch wenn die Immersion in meinem Fall vielleicht ein wenig zu gut funktioniert hat.
Das gesamte Spiel ist voller Rätsel. Ich kann mich nicht erinnern, je ein ähnlich vollgepacktes Adventure Game gespielt zu haben. 99% der Aufgaben sind super gemacht. Und bei dem einen Prozent, dessen Lösung ich mir ergoogeln musste, habe ich mir im Anschluß in den Hintern gebissen. Mit etwas Geduld und ein wenig Überlegen wäre ich da schon noch draufgekommen.



So müssen moderne Adventure Games aussehen. Und nicht wie die endlosen Entscheidungen, Aufgaben für Dumme und Quick Time Events, die Telltale Games bis zum Erbrechen mit einer Franchise nach der anderen auskotzt. Man muss nicht das Gameplay einer Story opfern. Beides geht Hand in Hand.
Großartige Rätsel entwerfen, das kann Tim Schafer. Weder ist ihre Lösung offensichtlich noch an den Haaren herbeigezogen ist. Ein Problem verschwindet zunächst irgendwo in den Tiefen des Gehirns, während man von Screen zu Screen wandert. Und plötzlich kommt wie aus dem Nichts das Ergebnis zurück. Ähnlich einem Namen, an den man sich beim besten Willen nicht erinnern kann. Und der einem zwei Tage später plötzlich in einem ganz anderen Zusammenhang wieder einfällt. Das macht für mich ein gutes Adventure Game aus, und Broken Age leistet in meinen Augen hier ganze Arbeit. Auch wenn das Wired Magazine und so mancher Spieler im Steam Forum ganz anderer Meinung sind.
Zugegeben, gegen Ende des Spiels wird es noch einmal richtig schwer, ein bestimmtes Rätselelement wird ein wenig zu oft wiederholt und auch das bereits in Full Throttle frustrierende Motiv, eine Aufgabe auf Zeit erledigen zu müssen, wird von Schafer wieder ausgepackt. Aber was soll’s, Schwamm drüber.
Über den weiteren Verlauf der Story von Broken Age werde ich mich hier nicht auslassen. Irgendwie ist einem von Anfang an klar, dass die Geschichte der beiden Teenager miteinander verwoben sein muss. Und man wird hierbei von Double Fine mehrmals in die Irre geführt. Aber jeder Spoiler verdirbt einfach nur das Abenteuer. Man muss Broken Age selbst gespielt haben.

Die Dokumentation
Was ich zunächst gar nicht überrissen hatte ist, dass ich neben dem Spiel sowohl den Soundtrack als auch die Dokumentation seines Entstehungsprozesses erworben hatte. Der Steam-Client versteckt Musik und Filme doch recht gut, so dass ich in regelmäßigen Abständen vergesse, was ich denn alles in Form von Bits und Bytes besitze.
War das Spiel allein schon ein Gewinner, so wächst die Ehrfurcht nach dem Ansehen der insgesamt 20 Kurzfilme noch weiter an. Alle sind dabei einem bestimmten Aspekt des Spiels gewidmet: Kickstarter („A Perfect Strom for Adventure“), Design („Codename: Reds“), Kunst („That Bagel Filter Thing), Vertonung („A Whole Different Game Experience“) oder aber Rückschläge („We’ll Handle it“). Und vieles vieles mehr.
In der Dokumentation wird übrigens auch Shays Einstiegsrätsel thematisiert. Wie bereits geschrieben, ist dies von Schafer ganz bewusst so entworfen. Und hat auch den ersten Playtestern Schwierigkeiten bereitet. Nicht nur mir.

Man kann nur erahnen, wieviel Arbeit und Herzblut in einem Titel wie Broken Age steckt. Und welch unglaubliches Talent all die Beteiligten im Gepäck haben. Allen voran Nathan „Bagel“ Stapley, der Broken Age seinen unvergleichlichen Stil verleiht.

Es tut in der Seele weh, wenn man sieht, welchen Schwierigkeiten und Kritikpunkten das Spiel bereits während seiner Entstehungsphase ausgesetzt war. Einer der Top-Treffer auf Google: „Broken promise: Double Fine’s ‚Broken Age‘ Kickstarter mess“. Selbst so erfahrene Spieleveteranen wie Tim Schafer schaffen es mitunter nur mit Mühe und Not über die Ziellinie.
Broken Age killed Thimbleweed Park
Noch ein Gedanke zum Abschluss. Ich frage mich, ob die Backer beim Zücken ihres Geldbeutels ein Spiel wie Broken Age vor Augen hatten. Oder enttäuscht nochmals vier Jahre auf Thimbleweed Park warten mussten, um von Ron Gilbert endlich das zu bekommen, was sie eigentlich haben wollten. Ein klassisches Adventure, dass aussieht und sich spielt wie Zack McKracken bzw. Maniac Mansion. Eine finale Antwort habe ich nicht. Aber ich glaube, dass ich mit meiner Vermutung gar nicht so verkehrt liege.
Es ist erstaunlich, dass Thimbleweed Park im Vergleich zu Broken Age auf der Kickstarter Plattform nur magere 626.250 US Dollar einsammeln konnte. Von gerade mal 15 Tausend Unterstützern. Dafür aber jetzt einen Erfolg nach dem anderen feiert, während, zumindest meinem Gefühl nach, Broken Age nahezu gänzlich in der Versenkung verschwunden ist. Entweder ist die Zeit der großen Kickstarter Projekte schlichtweg vorbei, oder aber das Interesse an Point & Click Adventure Games nun doch am Versiegen. Denkbar ist auch, dass die Fans nach Broken Age schlicht vorsichtiger geworden sind. Warum soll denn Tim Schafer über drei Millionen Dollar an Startkapital für ein Spiel erhalten, Ron Gilbert aber nur knapp 600 Tausend? Ich kann es mir einfach nicht erklären. Wie kann man ein Fan von Tim sein, aber nicht von Ron? Broken Age killed Thimbleweed Park?
Fazit
Ein Fazit zu ziehen war für mich dennoch nie einfacher. Absolute Empfehlung. Spielen! Und die Dokumentation ansehen, da sie einen wirklich guten Einblick in die Welt eines Entwicklerstudios bietet.