florence

Der Wecker klingelt unerbittlich, Zeit aufzustehen. Noch ein-, zweimal die Schlummertaste gedrückt. Aber es hilft alles nichts, raus aus den Federn und rein ins Bad. Zähneputzen.

Umblende. Die Bahn ist voll, alles was bleibt ist ein Stehplatz, eingeklemmt zwischen all den anderen Pendlern. Die Augen ganz auf das Smartphone gerichtet. Oh wie bunt und ereignisreich ist nur das Leben der Freunde im Gegensatz zum eigenen Grau in Grau. Like, Like, Like, Next, Like…

 

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Am Arbeitsplatz angekommen grüßt die Tabellenkalkulation. Dröges Zusammenzählen von Zahlen. Und dann zu allem Überfluss auch noch ein Anruf von Mum. „Ja, mir geht es gut.“, „Nein, ich brauche keinen Freund.“, „Nein, ich will nicht, dass Du mir einen suchst.“, „Ja, bis später.“

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Der Abend verläuft wie immer, mit Supermarkt-Sushi auf der Couch vor der Flimmerkiste. Allein. Dann noch schnell Zähneputzen und ab ins Bett. In wenigen Stunden wird der Wecker erneut klingeln. Kapitel 1 „Erwachsenenleben“ ist abgeschlossen.


Doch schon recht bald werden ein Cello und ein Fahrradunfall das Leben der jungen Florence Yeoh vollkommen auf den Kopf stellen. Der junge Musiker Krish tritt in ihr Leben.

florence ist eine wunderschöne, interaktive Geschichte über die Liebe und das Leben als junger Erwachsener. Ich bin immer noch ganz fasziniert von der Kunst des kleinen Studios Mountains. Das Spiel so vollgepackt mit Ideen, den Beziehungsverlauf der Liebenden allein mit Bildern auszudrücken. Es ist schon fast eine Schande, diese hier wieder zurück in Worte zu pressen.

Großartig sind all die Gesprächssituationen in Szene gesetzt. Kämpft Florence zum Beispiel zu Beginn des ersten Dates noch damit die richtigen Worte zu finden, im wahrsten Sinne ein Puzzle, so fließt die Konversation dann doch bald wie von allein.

Beim gemeinsamen Einkaufen im Supermarkt wird die Harmonie der beiden auf eine erste Probe gestellt. Zunächst werden die Verbindungsstücke der Dialogpuzzleteile eckig und dann spitzt sich die Diskussion auch bildlich zu.

Ein leises „Sorry“…

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…oder ein handfester Streit.

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Es sind die kleinen Momente, die Mountains so toll trifft. Sei es das Aufräumen von Krishs Apartment vor dem ersten Besuch, das hin und her Senden von Textnachrichten oder aber der Einzug in Florence‘ kleine Wohnung. Wer braucht schon zwei Toaster? Was kommt ins Regal? Und was zurück in die Umzugskiste? Wohin mit der Plattensammlung und der Actionfigur? Zumindest im Bad ist es einfach. Alles was der junge Musiker benötigt, ist seine Zahnbürste.

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florence ist kein langes Spiel, und dies auch klein langer Post. Viele Worte sind schlicht fehl am Platz.

In nur knapp zwei Stunden erfährt man all die Wendungen, die Florence‘ Beziehung mit Krish nimmt. Aber diese zwei Stunden sind wahrlich ein Erlebnis. Plus die Musik von Kevin Penkin. Schön, dass es so etwas auf iOS noch gibt. Absolute Empfehlung.

Wardwell House

Eigentlich ist mir der letzte große Umbau des App Stores ja echt entgegengekommen. Ich finde so gut wie nichts mehr, was mich interessieren könnte und kaufe folglich auch deutlich weniger Spiele als früher. Nicht gerade im Sinne des Erfinders, sprich Apple, aber doch besser für meinen Geldbeutel und meine doch recht knapp bemessene Freizeit.

So weit so gut. Würden nicht an drei Tagen der Woche je zwei Stunden meiner Lebenszeit für die Fahrerei mit dem öffentlichen Nahverkehr draufgehen. Lesen ist ja schön, gut und bildend, aber manchmal muss es halt dann doch ein Spiel sein.

Hatte ich schon erwähnt, dass man den App Store inzwischen echt vergessen kann? Also, Google auf und „Best iPhone Games“ eingetippt. Ergebnis? Wardwell House! Noch nie davon gehört, und kostenlos ist es auch noch. Keinerlei Werbung oder In-App-Käufe. Wenn das Spiel auch nur halb so gut wie angepriesen ist, dann nichts wie los.

Worum geht’s?

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Ein klassisches Szenario. Namenloser Held, gestrandet auf einer Insel, hungrig, durstig und erschöpft. Zunächst gilt es die Umgebung zu erkunden. Vielleicht findet sich ja ein Unterschlupf für die Nacht und sogar noch etwas Essbares.

Wardwell House spielt sich komplett aus der Ego-Perspektive und erlaubt einen vollkommen Rundumblick in einer fotografierten, schwarz-weißen Umgebung. Entweder nutzt man hierfür den eingebauten Bewegungssensor des iPhones oder aber ein schlichtes Wischen mit dem Zeigefinger. Ich selbst habe mich für die Gyroskop-Steuerung entschieden, für die Feinjustierung kamen dann aber dennoch die Finger zum Einsatz. Kopfhörer sind ein Muss.

Letztendlich handelt es sich bei Wardwell um ein in einzelne Szenen unterteiltes Suchspiel. In jedem Bild gilt es Schlüsselelemente zu entdecken und durch ein Heranzoomen ein wenig Monolog des Protagonisten auszulösen. Ist alles, was es zu entdecken gilt, auch gefunden, so weist ein Pfeil den Weg zum nächsten Abschnitt. Der Weg durch die Spielwelt ist dabei streng linear. Keinerlei Verzweigungen oder die Möglichkeit zurückzugehen.

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Nach einem einführenden Abschnitt durch ein unheimliches Waldstück stößt man auf das Herrenhaus der Insel, das gleichzeitig auch der Namensgeber des Spiels ist, Wardwell House.

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Inzwischen ist auch dem Dümmsten klargeworden, dass auf dem kleinen Eiland etwas ganz gewaltig faul sein muss. Aber das verlassene Haus verspricht zunächst wirklich ein wenig Ruhe, und durch Hunger und Neugier getrieben erkundet man Zimmer für Zimmer die Geschichte des Gemäuers. Bis…

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…der Horror an Fahrt aufnimmt. Von wegen allein! Es gilt schnellsten die Flucht anzutreten…

Fazit

Vor Originalität strotz die Story von Wardwell House nun nicht gerade. Das Spiel ist vollgepackt mit klassischen Elementen des Grusels und so dürfen auch alte Bekannte wie die Hexenprozesse von Salem oder verlassene Kinderbetten mit Kratzspuren an der Decke nicht fehlen. Dennoch bietet der Titel von der ersten Minute bis zum Abspann solide Unterhaltung. Und sogar noch ein wenig darüber hinaus. Wirklich toll gemacht von dem kleinen Studio namens Moolion.

Nie war der Wunsch nach einer Ersatzunterhose im Gepäck größer, als plötzlich die Puppenaugen im Dunkeln zu leuchten begonnen haben.

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Wer auf Grusel steht, der ohne großen Splatter auskommt, dafür aber im Kopf entsteht, und auch noch Suchspiele liebt, dem sei Wardwell House wärmsten empfohlen.

Aber auch so war das Spiel eine, wenn auch kurze, Abwechslung in meinem Kanon für das Jahr 2018.

P.S.: Wardwell House gibt es übrigens auch als VR-App. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dies die optimale Plattform für solch einen Titel ist.

Half-Life: Blue Shift

Nun ist es also an der Zeit, endgültig Abschied zu nehmen. Auf Wiedersehen, Gordon Freeman, mein schweigsamer Freund. Wie gerne hätte ich mich doch mit Dir auf die Suche nach der verschollen geglaubten Borealis begeben. Ein drittes und letztes Mal dem Combine mit erhobener Brechstange entgegentreten. Auf Wiedersehen, Black Mesa, Du Koloss im Fels, der mir tief in meinem Inneren einfach nur Angst bereitet hat. Auf Wiedersehen, G-Man, mysteriöse Erscheinung, die all meine Schritte stets aufs Genaueste beobachtet hat. Auf Wiedersehen, ihr Wissenschaftler, Wachmänner und Soldaten. Alle wart ihr gleich und doch so voneinander verschieden. Danke für all Eure Unterstützung. Auf Wiedersehen, Xen, Du fremdartige Alienwelt. Von vielen ungeliebt, habe ich dir doch immer wieder gerne einen Besuch abgestattet. Auf Wiedersehen, Half-Life Universum. So schnell werde ich nicht zurückkehren. Vielleicht ist es auch ein Abschied für Immer.

Blue Shift: Eine letzte Fahrt mit der Einschienenbahn in den Berg hinein. Erneut erlebe ich den Untergang des Forschungskomplexes Black Mesa. Diesmal jedoch aus der Perspektive des Wachmanns Barney Calhoun.

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Das von Gearbox Software entwickelte Add-on schafft es tatsächlich Half-Life noch einmal frischen Wind einzuhauchen. Rund drei Stunden Spielzeit bestehend aus einer gesunden Mischung aus Jump-Scare und dem Lösen von Rätseln. Der Shooter rückt dabei dezent in den Hintergrund.

Und zum ersten Mal erlebe ich ein Happy End. Barney und einer Gruppe von Wissenschaftlern gelingt die Flucht. Kein gigantischer Endboss, kein G-Man, der ihn für eine lange Zeit auf Eis legen wird.

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Vielmehr gibt es über Blue Shift eigentlich auch zu erzählen. Meine Half-Life Karriere ist nun an ihrem Ende angelangt. Mit feuchten Augen beende ich nach dem Abspann das Spiel. Alles was mir bleibt, ist auf eine Fortsetzung zu hoffen. Und natürlich von Zeit zu Zeit Half-Life Deathmatch: Source zu spielen. Aber das wird einfach nicht dasselbe sein.

Auf Wiedersehen…