Numenera – Das Rollenspiel
They say there have been eight worlds before ours. Eight times the people of this Earth, over vast millennia, built their civilizations, reaching heights we cannot even fully imagine now. They spoke to the stars, reshaped the creatures of the world, and mastered form and essence. They built cities and machines that have since crumbled to dust, leaving only their barest remnants.
This is the Ninth World. The people of the prior worlds are gone—scattered, disappeared, or transcended. But their works remain, in the places and devices that still contain some germ of their original function. The ignorant call these magic, but the wise know that these are our legacy. They are our future. They are the Numenera.
Bei Numenera handelt es sich um ein Pen & Paper-Rollenspiel aus dem Hause Monte Cook Games. Mit insgesamt 517.255 eingenommenen grünen Scheinchen hält es den Rekord als das bisher erfolgreichste Spiel seiner Gattung, das über Kickstarter finanzierte wurde.
Inzwischen steht bereits die Kampagne für die zweite Ausgabe auf der Crowdfunding Plattform zu Unterstützung bereit und übertrifft jetzt schon den Zielbetrag von 80.000 Dollar um über das Zehnfache.
Humble Bundle hat diese Woche übrigens ein Paket aus Numenera Quellenbüchern geschnürt. Leider ist das Grundregelwerk darin nicht enthalten, was es für einen Einsteiger in die Ninth World natürlich uninteressant macht. Aber mich musste man bei einem Preis von gerade mal 15$ für insgesamt 28 PDFs nicht zweimal bitten. Noch habe ich die Files nicht auf mein iPad heruntergeladen, aber ich bin vor allem auf den im Bundle enthaltenen Torment: The Explorer’s Guide gespannt. „Discover secrets of the computer game, and explore its world in greater depth and detail.“ Mal sehen, was mir beim Spielen von Tides of Numenera so alles entgangen ist.
Monte Cook, amerikanischer Autor und Entwickler von Rollenspielen, ist ein wahres Urgestein der Szene. Als Redakteur, Entwickler und Designer war er bereits an Rolemaster beteiligt und hat bei TRS sowohl an Planescape als auch an vielen anderen AD&D Produkten mitgewirkt. Hätte er sich 2012 nicht mit der Firmenleitung von Wizards of the Coast überworfen, so würde er heute als Lead Designer für die aktuelle, fünfte Ausgabe von Dungeons & Dragons geführt. Somit gebührt diese Ehre aber Mike Mearls, dem Senior Manager des D&D Research and Design Teams.
Bei mir zuhause stehen sowohl das über 500 Seiten starke Numenera Regelwerk als auch das deutlich schlankere Starter Set im Regal, das ich mir vor meinem digitalen Aufbruch in die Ninth World zu Gemüte geführt habe. Und ich habe gut daran getan, mir die zwei dünnen Heftchen mit einem Umfang von je 32 Seiten durchzulesen.
Wie bei so vielen Titeln in meiner Bibliothek habe ich auch bei Torment: Tides of Numenera mehr als einen Anlauf benötigt, mich in das Spiel hineinzufinden. Bei meinem ersten Versuch hatte ich mich noch komplett verloren gefühlt und schnell wieder aufgegeben. Das Starter Set hat mir aber geholfen, die auf den ersten Blick so fremde Spielmechanik besser zu verstehen.
Ich hoffe, dass meine nachfolgenden, etwas ausführlicheren Erklärungen die Startschwierigkeiten und Unsicherheiten anderer Spiele zu minimieren vermögen.
Numenera setzt auf möglichst wenig Regeln und stellt die erzählte Geschichte und das Entdecken der Welt in den Mittelpunkt. Die Charaktererschaffung könnte daher nicht simpler ausfallen, bietet aber dennoch genug Tiefe für die Ausgestaltung eines jeden Spielercharakters. Zunächst gilt es gerade mal drei Platzhalter eines kurzen Satzes mit Leben zu füllen: „Ich bin <Adjektiv> <Substantiv>, der/die <Verb>“. Das Ergebnis könnte dann „Ich bin Caris, ein flinker Glaive, der mit zwei Waffen kämpft.“, oder aber „Ich bin Sharad Talar, eine intelligente Nano, die Andere anführt.“ sein.
Glaive? Nano? Nur drei Klassen hat Numenera im Angebot: Nano, Glaive und Jack. Übertragen auf die klassischen Typen eines Rollenspiels vom Typ Dungeons & Dragons wären dies der Magier, der Krieger sowie der universelle Abenteurer.
Was mich beim ersten Spielen von Torment aber vor allem verwirrt hat, waren die Begriffe „Pool“, „Edge“ und „Effort“. Das hatte ich vor dem Lesen des Regelwerks so gut wie gar nicht überrissen. Zunächst muss man einmal wissen, dass Numenera auch die ansonsten typischen Charaktereigenschaften wie Stärke, Weisheit, Geschicklichkeit, Intelligenz usw. eingedampft hat. Auf „Might“, „Speed“ und „Intellect“. Jede Aktion, die in irgendeiner Weise mit Körperkraft zu tun hat, fällt in die Kategorie „Might“. „Speed“ umfasst natürlich Geschwindigkeit, aber auch die Geschicklichkeit des jeweiligen Charakters. Und „Intellect“ bezieht sich auf alles, was irgendwie den Einsatz des Verstands erfordert. Darunter fallen nicht nur Intelligenz und Weisheit, sondern auch Charisma.
Das Ganze mutet zunächst einmal als sehr befremdlich an, vor allem wenn man wie ich aus der klassischen D&D Ecke kommt, funktioniert aber nach ein wenig Eingewöhnung sehr gut. Wie gesagt, der Schwerpunkt von Numenera ist das Erkunden, Erleben und Erfahren. Nicht das Hantieren mit Eigenschaftswerten, Boni usw.
Wer nun einen Nano spielen möchte, der setzt natürlich auf „Intellect“, für einen Glaive ist „Might“ der wichtigste Wert. Jack (of all trades) erlaubt die flexibelste Charaktergestaltung. Sowohl schnell und stark, als auch schnell und intelligent sind vielversprechende Kombinationen.
Die Anzahl an Punkten, die einem je Charaktereigenschaft zur Verfügung stehen, werden „Pool“ genannt. Ein durchschnittlicher Pool-Wert liegt bei 9-12, alles drüber oder darunter ist vor- bzw. nachteilshaft. Die Pool-Werte lassen so auch einen direkten Vergleich zu. Besitzt ein Charakter zum Beispiel mehr Might-Punkte als sein Gegenüber, so ist er diesem körperlich überlegen.
Nun kommen aber noch „Edge“ und „Effort“ ins Spiel. Effort ist einfach zu verstehen. Will man eine Aktion im Spiel durchführen, so kann man Punkte aus dem jeweiligen Pool investieren, um deren Erfolg zu erhöhen. Möchte man zum Beispiel eine verschlossene Tür mit Gewalt aufbrechen, so kann man Might-Punkte hinzuschiessen. Respektive würde das geschickte Stehlen eines Gegenstands den Speed-Pool anzapfen. Dieser Einsatz von Pool-Punkten, um das Gelingen einer Aktion zu erhöhen, wird schlicht „Effort“ genannt. Die investierten Punkte werden vom aktuellen Wert des jeweiligen Pools abgezogen. Und da letztendlich das Würfelglück mit einem W20 entscheidet, kann eine Aktion trotz des Einsatzes von Effort fehlschlagen. Die investierten Punkte sind auf alle Fälle erst einmal weg. Eine jede Rast aber füllt alle Pools wieder vollständig auf. Natürlich kann man auch versuchen, gänzlich auf den Einsatz von Effort zu verzichten. Aber manch eine Aufgabe ist von solch hoher Schwierigkeit, dass man ohne zusätzlichen Einsatz nicht zum gewünschten Ergebnis gelangt.
Edge ist am Besten mit einer Art Bonus zu vergleichen. Müsste man zum Beispiel für eine höhere Erfolgschance einer Aktion drei Punkte des Intellect-Pools investieren, besitzt aber für diese Charaktereigenschaft ein Edge von 2, so muss man nur drei minus zwei, sprich einen Punkt ausgeben. Mit dem gleichen Ergebnis.
Eigentlich ganz einfach. Aber mich hat dieses System in der ersten Spielstunde einfach nur verwirrt und frustriert. Vor allem da ich schnell meine Pools gänzlich aufgebraucht hatte, ohne zum gewünschten Erfolg zu gelangen. Das Haushalten mit den Pool-Punkten ist eine Fähigkeit, die man sich aber schnell aneignet. Und vor allem muss man sich damit anfreunden, dass auch der Fehlschlag zum Spiel gehört. Oft führt gerade das Scheitern zu einem interessanteren Spielverlauf, eine Eigenschaft mit der Torment ausdrücklich wirbt.
Zu Pool, Effort und Edge gesellen sich nun noch „Skills“ und „Special Abilities“. Skill ist eine Fähigkeit in der ein Charakter besonders geschult oder gar ein ausgewiesener Spezialist ist. Man könnte zum Beispiel ein ausgezeichneter Kletterer sein, oder aber besonders redegewandt. Letztendlich führt ein Skill dazu, dass eine Aktion an Schwierigkeit verliert.
Eine Spezialfähigkeit wiederum könnte sein, dass man in der Lage ist mehrere Gegner gleichzeitig anzugreifen. Der Einsatz solch einer Fähigkeit kostet dann aber Punkte eines der Fähigkeiten-Pools.
Zu Levels, Erfahrungspunkten und Aufstieg, ein Teil von Tides of Numenera, schweigt sich das Starter Set leider aus. Ich habe im Spiel bei jedem Level-Up die mir zur Verfügung stehenden Punkte, sei es für Pools, Edge oder Skills, nach bestem Wissen und Gewissen verteilt. Und bin letztendlich ganz gut mit dieser Methode gefahren. In meinem Blogpost zu Planescape: Torment hatte ich ja schon erwähnt, dass mir das Ausreizen von Regeln so gar nicht liegt. Insofern war ich hier bestens aufgehoben.
Und letztendlich sind noch „Cyphers“ und „Oddities“ zu nennen. Bei diesen handelt es sich um Ausrüstungsgegenstände, die man entweder bei Händlern käuflich erwerben kann, oder die im Verlauf des Abenteuers auf andere Art und Weise in den persönlichen Besitz gelangen. Zum Beispiel als Questbelohnung. Es handelt sich um Artefakte, die die vorangegangenen Zivilisationen hinterlassen haben und die nun zweckentfremdet zum Einsatz kommen. Was eine Cypher bewirkt, findet man oft nur durch schlichtes Ausprobieren heraus. Aber ein Nano mit einem hohen Intelligenzwert kann erkennen, ob es sich zum Beispiel um eine Bombe, ein Gesundheitselexier oder aber um eine Art Schutzschild handelt. Oddities hingegen sind lediglich kleine Spielereien wie eine Kugel, die ein Hologramm enthält oder aber ein Gerät, das es vermag, eine längst vergangene Szene an die Wand zu projizieren. Während Cyphers im Spiel wirklich wichtig sind, auch wenn man nie zu viele auf einmal davon tragen sollte („Cypher Sickness“!), so kann man alle Oddities guten Gewissens sofort verkaufen, um die Kriegskasse aufzufüllen und Platz im Inventar zu schaffen.
Aber nun genug der Vorrede, es wird höchste Zeit, dass ich endlich zum eigentlichen Spiel komme.
Torment: Tides of Numenera – Das Computerspiel
Torment: Tides of Numenera beginnt mit dem Erwachen in absoluter Dunkelheit. Gefangen in einer Art Kokon ist man Zeuge seines eigenen Sturzes aus sehr sehr großer Höhe.
Alles was einem bleibt, während man hilflos auf die Erde hinabstürzt, ist, sich umzusehen und einen ersten Blick auf die Welt zu erhaschen in die man im wahrsten Sinne des Wortes geworfen wird. Und zu hoffen, dass man den Aufschlag irgendwie überleben wird. Der Last Castoff wird mit einem Knall geboren.
You are born falling from orbit, a new mind in a body once occupied by the Changing God, a being who has cheated death for millennia.
Dem Antagonisten des Spiels, Changing God genannt, ist es gelungen, die Technologie lange untergegangener Zivilisationen für die eigene Unsterblichkeit zu nutzen. Er ist in der Lage Körper zu erschaffen und seinen Geist in diese zu überführen. Ist er einer Hülle überdrüssig geworden oder sieht sich gezwungen diese zu verlassen, so bleibt nicht etwa eine Leiche zurück, sondern in dem abgestoßenen Leib erwacht eine neue Seele zum Leben. Solch ein unbeschriebenes Blatt, das jedoch in der Lage ist, sich bruchstückhaft an all die Leben des Changing Gods zu erinnern, ist der Last Castoff, die Rolle in die man in Tides of Numenera als Spieler schlüpft.
Natürlich überlebt man den Sturz und nach einer kurzen Erkundung der Umgebung tritt man vor einen Spiegel. Die Charaktererzeugung kann beginnen.
Trotz einer Art Tutorial habe ich mich hier nicht gut zurechtgefunden und das Internet musste zu Rate gezogen werden. Letztendlich habe ich mich für die Erschaffung eines Jacks entschieden. Aber ohne das Lesen des Pen & Paper Startes Sets und diverser Webseiten hätte ich hier nichts Sinnvolles zu Wege gebracht.
Das Tutorial begleitet einen übrigens noch eine ganze Weile im Spiel, aber auf Wunsch kann man die eingeblendeten Hinweismeldungen jederzeit abschalten.
Ist die Erschaffung des Castoffs abgeschlossen, so findet man sich zunächst in einer Art Geisterwelt wieder. Ein Bereich im Kopf des Abgestoßenen, in den man im weiteren Verlauf des Spiels immer wieder zurückkehren wird. So zum Beispiel auch, wenn die Lebensenergie im Kampf auf null sinken sollte.
Eine Erscheinung namens The Specter klärt einen über die eigene Geschichte auf und ehe man es sich versieht betritt The Sorrow die Bühne, ein riesiges, alles verschlingendes Geisterwesen, das Jagd auf den Changing God und all seine Castoffs macht. Das erste Erscheinen dieses schier allmächtigen Gegners dient als Einführung in das Kampfsystem des Spiels. Aber hierzu später mehr.
Ist es gelungen den Angriff zunächst abzuwehren, so tritt man durch eine Art Portal in die Ninth World und das Spiel kann nach all der Einführung endlich an Fahrt aufnehmen.
Kaum erwacht, trifft auch schon man auf seine ersten Gefährten, Algier und Calliste, Cypher-Jäger, die Zeugen des Einschlags geworden sind. Bis zu vier Charaktere kann die Gruppe anwachsen. Man wird harte Entscheidungen treffen müssen, wen man mitnimmt und wen man lieber zurücklässt.
Nach einiger Unterhaltung macht man sich mit den beiden in Richtung Sagus Cliff auf, eine riesige Stadt, die sich in unmittelbarer Nähe der Absturzstelle befindet. Und dann geht es auch schon los mit dem Erkunden der Welt und dem Führen unzähliger Gespräche. Schnell füllt sich hierbei das Questlog, wobei zwischen ein, zwei Main- und vielen Nebenquests unterschieden wird. Die Hauptquest, mit der das Spiel beginnt, findet erst mit Beendigung von Tides of Numenera ihren Abschluss und umspannt so den gesamten Spielverlauf.
What does one life matter?
Dies ist das zentrale Thema, um das sich Tides of Numenera dreht. Was ist das eigene Leben als Abgestoßener wert? Was kann man bewirken? Wo sind all die anderen verworfenen Hüllen? Was ist das wahre Ziel des Changing Gods? Wie kann man dessen Treiben Einhalt gebieten? Und kann es gelingen den Sorrow aufzuhalten, bevor er den Changing God, all die Brüder und Schwestern, sowie einen selbst vernichtet?
Um eine Antwort auf all diese Fragen zu erhalten, muss man Torment bis zur letzten Minute spielen und auch dann kann man zwischen verschiedenen Ausgängen der Geschichte wählen. Tides of Numenera wird für jeden Spieler also eine ganz individuelle Erfahrung sein.
Natürlich möchte ich an dieser Stelle nichts verraten, aber einen Abschnitt aus meinem ganz persönlichen Abschluss möchte ich dennoch teilen:
You were remembered for your great acts of compassion and sacrifice. For years to come, tales of of your life inspired the people of the Ninth World to follow the murmuring of their conscience and protect those who could not protect themselves.
Ähnlich Dungeons & Dragons besitzt auch Tides of Numenera eine Art Gesinnungssystem, „Tides“ genannt (daher auch der Name des Spiels), das durch eine jede Entscheidung und Handlung beeinflusst wird. Eine Art Karma, durch das alle Bewohner der Ninth World miteinander verbunden sind. Meinem Nachruf kann man entnehmen, dass ich versucht habe mich durchwegs „rechtschaffen gut“ zu verhalten.
Nach dem Abschluss unzähliger Quests in Sagus Cliff, beginnt sich die Welt einem weiter zu öffnen. All die Schauplätze des Spiels könnten nicht fantastischer sein. Die Spannweite reicht von einer Raumstation bis hinab in die Tiefen eines gigantischen Organismus.
Das Questsystem selbst folgt einer gewissen Dynamik. So sind je nach getroffener Entscheidung manche Aufgaben nicht verfügbar, andere Questreihen öffnen sich einem dafür. Auch ist mitunter Eile geboten. So ist es mir zum Beispiel passiert, dass eine Questgeberin, am Rande einer einsturzgefährdeten Klippe stehend, plötzlich nicht mehr aufzufinden war. Inklusive des gesamten Klippenabschnitts.
Auch sind wohl nicht alle Questabhängigkeiten in Tides of Numenera vollkommen fehlerfrei umgesetzt. Die Menschenmenge, auf die mich einer der zahlreichen NPCs in Sagus Cliff hingewiesen hat, war schlicht nicht an besagtem Ort zu finden. Vermutlich aufgrund einer Wahl, die ich vorher irgendwo getroffen hatte.
Fazit
Trotz all der Freude, die mir das Spielen von Torment: Tides of Numenera bereitet hat, muss ich zunächst auf zwei zentrale Schwächen des Spiels eingehen.
Da ist zum einen das rundenbasierte Kampfsystem, „Crisis“ genannt.
A New Take on Combat. With the Crisis system, combat is more than just bashing your enemies. Plan your way through hand-crafted set-pieces which combine battles with environmental puzzles, social interaction, stealth, and more.
Das hätte das Entwicklerstudio inXile Entertainment mal besser gelassen. Selten habe ich etwas nervigeres und langweiligeres gespielt. In jeder Runde positioniert man die Charaktere seiner Party und kann im Anschluss daran eine Aktion wie eine Attacke oder den Einsatz einer Cypher auslösen. Schon das Bewegen klappt nicht richtig. Schier endlos vollzieht sich dann der Wechsel zischen den Handlungen der eigenen Charaktere und denen der Gegner, was dem Kampf aber seine natürliche Hektik und die damit verbundene Spannung nimmt.
Zwar lässt solch eine Mechanik dem Spieler viel Zeit über jeden seiner Züge genau nachzudenken. Aber es spielt sich schlicht unglaublich zäh. Die einzige Krise, die man hier erleben kann ist, sich bis zum bitteren Ende einer Auseinandersetzung durchklicken zu müssen, obwohl das unglückliche Ende bereits absehbar ist. Da hilft nur das Laden eines hoffentlich passenden Spielstands. Eine Situation, in die ich mehr als einmal geraten bin.
Das äußerst holperige Kampfsystem war auch einer der Hauptgründe dafür, dass ich Tides of Numenera bei meinem ersten Anlauf schnell wieder beiseite gelegt habe.
Die zweite große Schwachstelle ist die mitunter krampfhaft erzwungene Ähnlichkeit zu Planescape: Torment, als dessen geistiger Nachfolger sich das Spiel sieht. Das beginnt schon beim Aufbau der Geschichte. Startet man bei Planescape in Sigil, so nimmt Sagus Cliff diesen Platz in Tides of Numenera ein. Bei manchen Örtlichkeiten hatte ich das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Und war ich ja auch, nur eben in einem anderen Spiel.
Diese Szene zum Beispiel könnte auch vor der Leichenhalle der Dustmen in Sigil sein, der Ort an dem der Obelisk mit den Namen all der Verstorbenen steht.
Und dann ist da natürlich noch der „Endless Battle“. Hat hier irgendwer Blood War gesagt?
Diese Anlehnung an Planescape: Torment besitzt aber einen gewaltigen Pferdefuß. Der Namenlose ist ein unglaublich interessanter Charakter mit einer Geschichte, die Jahrhunderte überspannt. Man interessiert sich für seine Person, sein Leiden, und will alles über ihn erfahren. Der Last Castoff hingegen ist genau das, ein Abgestoßener, ein unbeschriebenes Blatt. Und trotz all seiner Handlungen vermag er nie an wirklicher Tiefe zu gewinnen. Zu Beginn des Spiels ist er ein Niemand und auch nach dem Abspann weiß man eigentlich nicht genau wer er ist. Da hilft auch der Nachruf nichts. Das dies keinem während all der Entwicklungs- und Testzeit aufgefallen ist? Kann ich mir fast nicht vorstellen.
Weitere mögliche Kritikpunkte sind reine Geschmacksache. Mich hat nichts davon wirklich gestört.
Hat man in Planescape: Torment schon viel lesen müssen, so legt Tides of Numenera noch deutlich einen oben drauf. So unglaublich viel Text. An manchen Stellen driftet das Spiel gar in ein reines Textadventure ab.
Ich rate jedem das englische Original und nicht die deutsche Übersetzung zu spielen. Auf Twitter habe ich ein paar Screenshots zu Gesicht bekommen mit stellenweise unterirdischen Texten. Aufgrund der schieren Menge sollte man aber gut Englisch können.
Was mich eher genervt hat ist, dass man ähnlich dem Namenlosen zwar unsterblich ist, aber dennoch scheitern kann. Einen Game Over Screen hätte ich nicht erwartet.
So, jetzt habe ich mich aber genug ausgekotzt. Kommen wir zum positiven Teil des Spiels.
Auch wenn manch ein Spieler das anders sehen mag (siehe Kommentare auf Steam), so finde ich das Torment: Tides of Numenera in fantastischem Gewand daherkommt. Ich packe einfach mal ein paar Screenshots hier rein. Sieht das nicht einfach gut aus?
All die Orte der Ninth World, die ich besucht habe, sind vorzüglich gelungen. Genau so hatte ich mir die Welt vorgestellt. Die Zeichnungen in den Numenera Regelwerken sind großartige Fantasy-Kunst. Und diese Welt des Pen & Paper Rollenspiels hat Tides of Numenera exzellent aufgegriffen und umgesetzt.
Fast ein jeder NPC besitzt eine umfangreiche Hintergrundgeschichte und ist man Willens, all die unzähligen Dialoge zu führen, so öffnet sich einem eine Welt, die ihresgleichen sucht.
Die Geschichte des Changing Gods ist vorzüglich geschrieben und passt sich nahtlos in das Numenera Setting ein. Mit all den Wendungen und Überraschungen, die solch eine Story benötigt, um bis zum Schluss spannend zu bleiben.
Einem jeden Fan von Fantasy und RPGs kann ich Torment: Tides of Numenera nur empfehlen. Man muss aber bereit sein, wirklich sehr viel Text zu lesen. Und die versuchte Ähnlichkeit zu Planescape: Torment sollte man einfach ausblenden. So wie Numenera nichts mit Planescape zu tun hat, so kann auch Tides of Numenera vollkommen eigenständig existieren.